Stille Tiefe
Für Elroy Salam, bildender Künstler und Modefotograf aus Ghana, bedeutete der Aufenthalt bei AIR – ARTIST IN RESIDENCE Niederösterreich nicht nur seine erste Zeit außerhalb Afrikas, sondern auch eine intensive künstlerische und persönliche AuseinandersetzEinblicke in die stille Tiefe
Ein Interview mit Elroy Salam
Es war eine Reise der ersten Male. Für Elroy Salam, bildender Künstler und Modefotograf aus Ghana, bedeutete der Aufenthalt bei AIR – ARTIST IN RESIDENCE Niederösterreich nicht nur seine erste Zeit außerhalb Afrikas, sondern auch eine intensive künstlerische und persönliche Auseinandersetzung mit dem Unbekannten. Krems – mit seinen engen Gassen, der winterlichen Stille und der Präsenz von Geschichte und Spiritualität – wurde für ihn zum Resonanzraum, in dem neue Fragen, Bilder und Stimmungen entstehen konnten.
Salams Fotografien erzählen von Momenten zwischen Nähe und Ferne, zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem. In Kirchenräumen, auf winterlichen Straßen oder in kleinen Fundstücken des Alltags entdeckte er Motive, die ihn nicht nur visuell, sondern auch emotional berührten. Besonders die Einsamkeit – anfangs Herausforderung, dann Inspiration – wurde zu einem wichtigen Teil seines kreativen Prozesses.
Im Gespräch mit dem Künstler erzählt er vom Erleben einer neuen Welt, von Ritualen, Intuition und der Kraft von Bildern, die mehr andeuten als aussprechen. Und von der Frage, wie sich ein Ort in eine künstlerische Sprache übersetzen lässt – leise, aber eindrücklich.
Dein Aufenthalt bei AIR - ARTIST IN RESIDENCE Niederösterreich war das erste Mal, dass du außerhalb von Afrika warst. Hat es dir gefallen?
Ja, es hat mir gefallen. Es war eine aufregende und zugleich introspektive Erfahrung. Ich fand es spannend, die Veränderung der Atmosphäre, der Kultur und auch des Lebensrhythmus zu beobachten und zu verarbeiten.
Was war das Herausforderndste für dich daran, hier in einem fremden Land und einer fremden Kultur zu sein?
Am schwierigsten war es, mich an die Einsamkeit und die Ruhe in Krems zu gewöhnen – besonders im Vergleich zur Energie, die ich von zuhause gewohnt bin. Das hat mich nachdenklicher gemacht, was gut für meine Arbeit war, mich aber auch dazu gezwungen, bestimmte Emotionen und Gedanken direkter zu konfrontieren. Auch das Wetter spielte eine Rolle. Ich bin ein viel wärmeres Klima gewohnt, also war der Winter eine Herausforderung, die zu bestreiten ich erst lernen musste.
Während deines Aufenthalts hast du viele Fotos mit unterschiedlichen Motiven gemacht. Wie hast du deine Motive ausgewählt? Was hat dich inspiriert?
Mein Prozess ist sehr intuitiv. Ich fühle mich zu Dingen hingezogen, die eine gewisse Stille, ein Mysterium oder emotionale Tiefe ausstrahlen. In Krems hat mich besonders fasziniert, wie Geschichte, Spiritualität und Alltagsleben in der Landschaft miteinander verschmelzen. Die Architektur, religiöse Symbole und selbst kleine, scheinbar alltägliche Gegenstände trugen für mich eine zeitliche Tiefe und menschliche Präsenz in sich, die mich angezogen haben.
Was war dein Lieblingsmotiv bzw. deine Lieblingsszene, die du festgehalten hast?
Alle meine Arbeiten sind meine Lieblinge. Aber wenn ich eines wählen müsste, dann wäre es das Bild mit der Frau, die vor dem steinernen Monument bzw. der Skulptur mit dem seitlich ausgeschnittenen Kreuz liegt. Die Szene hat eine fast ätherische Ausstrahlung. Es gibt eine stille Spannung zwischen der Frau und der Steinskulptur – fast wie eine visuelle Metapher für Übergang, Hingabe oder die Auseinandersetzung mit dem Jenseits. Für mich symbolisiert der Kontrast zwischen dem weichen Stoff, den Rosen und der rauen Textur des Steins eine moderne Neuinterpretation von Vergänglichkeit und Spiritualität. Insgesamt verkörpert es viele der Themen, mit denen ich mich beschäftige – Ritual, Spiritualität und der schmale Grat zwischen Anwesenheit und Abwesenheit.
Bevorzugst du inszenierte Fotos oder Schnappschüssen?
Ich schätze beides, aber meine Arbeit tendiert oft zu inszenierter, konzeptioneller Fotografie, weil ich es liebe, innerhalb eines Bildrahmens eine Erzählung zu gestalten. Der Aufenthalt in Krems hat mich jedoch dazu ermutigt, mehr mit Dingen und Motiven zu arbeiten, die sich roh und ungeplant anfühlen.
Was an Krems war für deine Arbeit besonders? Was hast du hier geschätzt?
Krems hat eine gewisse Stille, die es mir ermöglichte, langsamer zu werden und intensiver zu beobachten. Die Geschichte, die in der Stadt verankert ist, die religiösen Bilder und sogar das gedämpfte Winterlicht haben meinen Zugang zur Fotografie beeinflusst. Es war auch spannend, mit einer Kultur in Berührung zu kommen, die sich so sehr von meiner eigenen unterscheidet – und dennoch Verbindungen zu finden in Themen wie Gewohnheiten und dem Vergehen der Zeit.
Du hast viele Kirchen fotografiert. Hast du eine spezielle Faszination für sie?
Nicht unbedingt aus religiöser Sicht, sondern eher wegen ihrer architektonischen Präsenz und ihrer symbolischen Bedeutung. Kirchen tragen Jahrhunderte an Geschichten in ihren Mauern – das finde ich faszinierend. Die Art, wie das Licht in diesen Räumen wirkt, das Gefühl von Hingabe, das sie ausstrahlen – all das spricht mich künstlerisch sehr an.
Du hast eine Sammlung kleiner Papierzettel mit Weisheiten fotografiert, die an Teebeuteln hingen. Was hat es damit auf sich?
Das war etwas, über das ich zufällig gestolpert bin, und es hat mich sofort an Ataya erinnert – ein Teekultur-Projekt, das ich kurz vor meinem Krems-Aufenthalt abgeschlossen hatte. In Westafrika gehen Teesitzungen oft mit Gesprächen einher, die Weisheiten, Humor und Lebensreflexionen enthalten. Diese Teebeutel-Sprüche wirkten wie ein westliches Pendant dazu.
Was nimmst du aus deinem Aufenthalt in Krems mit? Denkst du, diese Zeit hat einen langfristigen Einfluss auf deine Arbeit?
Auf jeden Fall. Ich habe eine neue Perspektive auf Raum, Einsamkeit und den Einfluss von Umgebung auf künstlerischen Ausdruck gewonnen. Ich bin mir auch bewusster geworden, wie ich mit unbekannten Landschaften interagiere und wie sie wiederum meine kreativen Entscheidungen beeinflussen. Ich denke, dass Elemente von dem, was ich in Krems entdeckt habe, in zukünftigen Projekten wieder auftauchen werden - vielleicht auf eine Art und Weise, die mir noch nicht bewusst ist.