Poesie der Verwandlung
Der Schweizer Künstler Christian Gonzenbach sieht sich in seiner Arbeit als Forscher an der Schnittstelle zwischen Naturwissenschaften und künstlerischer Herangehensweise.Poesie der Verwandlung
Interview mit Christian Gonzenbach
Der Schweizer Künstler Christian Gonzenbach sieht sich in seiner Arbeit als Forscher an der Schnittstelle zwischen Naturwissenschaften und künstlerischer Herangehensweise. Für die Dominikanerkirche Krems entwickelte er eine temporäre Rauminstallation. Die Ausstellung zeigt nicht nur Objekte, gegossen aus schwarzem Kunstwachs, sondern legt auch deren Herstellungsprozess offen.
Andreas Hoffer, Kurator der Schau, sprach mit dem Künstler über seinen Zugang zu der Arbeit in Krems.
Was waren deine Eindrücke, als du zum ersten Mal die Dominikanerkirche Krems betreten hast? Hattest du schon eine Idee davon, was du hier machen wirst?
Als ich die Dominikanerkirche in Krems betrat, war ich beeindruckt vom Ausmaß des leeren Raums. Wieso wurde ein so gigantisches Gebäude errichtet? Da die Kirche von jeglichem Mobiliar befreit ist, erscheint der Raum noch größer. Das war der Ausgangspunkt für meine Überlegungen. Auf der einen Seite steht die schwindelerregende Vertikalität der Steinkonstruktion, das Ergebnis jahrzehntelanger menschlicher Anstrengung, und auf der anderen Seite die spirituelle Rolle des Gebäudes. Warum ein solcher Aufwand für etwas so Immaterielles wie das Seelenheil?
Da ich mich nicht mit der Erlösung der Seele befassen kann, habe ich mich auf den materiellen Aspekt konzentriert, auf die menschliche Ebene. Unsere Zivilisation ist geschäftig; wir verbringen unsere Zeit damit, Dinge zu produzieren, zu betrachten, zu berühren, zu erwerben und zu zerstören. Dieser Kreislauf des materiellen Lebens ist es, den ich in der Kirche physisch installieren möchte.
Ist der Akt des Schaffens in deiner Kunst auch eine Anspielung auf den Schöpfungsmythos, immerhin wird sie in einer ehemaligen Kirche produziert und gezeigt?
Der ursprüngliche Akt der Schöpfung bleibt ein Rätsel. Woher kommen wir? Woher kommt das Leben, das Universum, die Materie?
Jahrhundertelang dominierten theologische Antworten, erst von den Aufklärern wurden sie in Frage gestellt. Es scheint, als hätte die Wissenschaft die Religion ersetzt. Doch selbst wenn Evolutionstheorien erklären, wie sich das Leben auf der Erde entwickelt hat, geben sie keine Antwort darauf, warum das Leben entstanden ist. Warum gibt es etwas und nicht nichts? Dieses Rätsel bleibt bestehen und fasziniert. Ich ziele mit meinem Projekt nicht darauf ab, diese Frage zu beantworten. Vielmehr hinterfrage ich den unaufhörlichen menschliche Drang, Dinge zu produzieren, zu reproduzieren und zu konsumieren. Ist dies eine Nachahmung des Schöpfungsakts? Für mich ist das die Einrichtung einer Produktionswerkstätte. Ich stelle Dinge her – allerdings nicht aus dem Nichts. Formen werden aus dem Rohmaterial geschaffen, es gibt einen Prozess der Organisation, der Formgebung und damit der Sinnstiftung.
Die gesamte Installation findet auf Tischen statt. Im religiösen Kontext haben diese eine besondere Bedeutung, etwa der Tisch des letzten Abendmahls, an dem eine Mahlzeit geteilt wird, aber auch der Opferaltar, auf dem Opfergaben dargebracht werden. Wie alle anderen Elemente des Projekts haben die Tische mehrere Bedeutungsebenen.
Welche Bedeutung hat die Vergänglichkeit, die dem Prozess der Entstehung eines Werkes innewohnt, für das Werk selbst?
Der Titel der Ausstellung, On Human Level, suggeriert, dass wir uns auf einer materiellen Ebene befinden, nicht auf einer göttlichen. Die Installation breitet sich horizontal aus, im Gegensatz zur Vertikalität des Gebäudes, einem Symbol der geistigen Erhebung. Ganz gleich, was wir tun, wir bleiben der Schwerkraft unterworfen und in der Erde verankert. Die materielle Natur der menschlichen Existenz kann unerträglich erscheinen, und das Wissen, dass unser Leben zeitlich begrenzt, „dem Verfall unterworfen“ ist, ist seit Jahrtausenden ein Hauptthema philosophischer oder theologischer Reflexion.
Mein Projekt zeigt, wie Dinge Form annehmen und wie sie ihre Form verlieren. Die Form ist, wie das Leben, vergänglich. Der biblische Mensch wird aus Lehm geformt und kehrt als Staub auf die Erde zurück. Spannend ist jedoch, was dazwischen passiert! Die durch die Installation erzeugte Energie der Herstellung, das Entstehen der Objekte aus ihren Formen, ihre Präsentation als Opfergaben oder Ex-votos auf langen Tischen. Der Moment, in dem die Objekte schmelzen, formlos werden. Sie vermischen sich und werden zu Rohmaterial, zu Chaos und damit bereit für einen Neubeginn. Der temporäre Charakter wird durch die Verwendung von schwarzem Wachs, einem ephemeren Material par excellence, unterstrichen. Das aus fossiler Materie (Öl) gewonnene Wachs ist nicht dazu bestimmt, eine Form zu bewahren, sondern ermöglicht den Übergang von einer Figur zur anderen.
Die Poesie der Verwandlung steht im Mittelpunkt des Projekts, eine Reflexion über die Vergänglichkeit der Existenz, ihre Vergeblichkeit und ihre Schönheit.